Grundlegendes zur Geriatrie

Warum geriatrische Rehabilitation – Was bedeutet geriatrische Rehabilitation

DSC_0746Die geriatrische Rehabilitation startete in Bayern vor 25 Jahren in Bayreuth mit dem Ziel älteren, vermehrt pflegebedürftigen und multimorbiden (mit verschiedenen Krankheiten belasteten) Patienten einen besseren Übergang nach einer Versorgung im Akutkrankenhaus in die häusliche Umgebung zu ermöglichen. Mit der geriatrischen Rehabilitation soll vermieden werden, dass ältere Patienten (Alter 75+ Jahre) sofort wieder ins Akutkrankenhaus zurückkehren oder in die stationäre Pflege (Kurzzeitpflege oder Dauerpflege) aufgenommen werden müssen. Geriatrische Rehabilitationen sind an den Bedarf von mehr Pflege, individueller Einzeltherapie, intensiver Medikation u.a. der älteren pflegebedürftigen Patienten angepasst. Ältere Patienten, die die sogenannten Aktivitäten des täglichen Lebens (ATL) wie sich Ankleiden, auf die Toilette Gehen, sich Waschen, Duschen und selbständig zur Therapie-, zum Arzt-, zur Schwester- Gehen nicht bewerkstelligen können, können in der normalen Rehabilitation nicht ausreichend versorgt werden, bzw. die personellen Ressourcen in der Pflege lassen dies dort nicht zu. Hier wird vom Sozialdienst und den Ärzten des Akutkrankenhauses sowie den Kassen die geriatrische Rehabilitation empfohlen.

Unterschiede zur Rehabilitation jüngerer bzw. berufstätiger Patienten

Aus all diesen Gründen ergeben sich deutliche Unterschiede zur Rehabilitation für jüngere und mittelalte Patienten und natürlich ist die geriatrische Rehabilitation nicht mit einer freien Badekur in einem Kurhotel vergleichbar:

  • Geriatrische Rehabilitationen ähneln mehr dem Akutkrankenhaus als einer Reha- bzw. Kurklinik.
  • Die Unterbringung findet in der Regel wie in einem modernen Akuthaus in einem Doppelzimmer statt, dadurch ergeben sich kürzere Zeiten für die Pflege, die Patienten können gegenseitig aufeinander Acht geben, die Stationen sind für kurze Wege kompakter gebaut. Die Unterbringung in Einzelzimmern ist bei Verfügbarkeit gegen Aufpreis möglich, aber oft aus pflegerischen Gesichtspunkten bei manchen Patienten nicht unbedingt sinnvoll. Vorrang für die Unterbringung in Einzelzimmern haben Patienten mit infektiösen Krankenhauskeimen, die isoliert untergebracht werden müssen.
  • Die Zimmereinrichtung ist zweckmäßig wie im Akuthaus auf die intensivere Pflege ausgerichtet und nicht vergleichbar mit der Einrichtung eines Hotelzimmers in einem Kurhotel. So sollten z.B. die Betten frei stehen, um von drei Seiten für die Pflege begehbar zu sein. In vier Einzelzimmern (davon zwei mit der Möglichkeit der Unterbringung von Begleitpersonen) im 2. Stock haben wir den Sanitärbereich absichtlich offen gehalten, um auch bettlägerige und rollstuhlpflichtige Patienten besser an Toilette, Waschbecken und Dusche bringen zu können, statt Schüssel, Urinflasche oder Toilettenstuhl benutzen zu müssen. Dies dient der schnelleren Rehabilitation/Wiedereingliederung zur würdevolleren, normalen Körperpflege.
  • Die Medikation wird in der Regel täglich gestellt und vom Pflegepersonal gegeben.
  • Das Essen ist identisch mit Klinikessen: Speisen müssen gemäß Hygieneverordnung eine Kerntemperatur von 82° erreicht haben bei der Zubereitung, das Essen muss über Tablettsystem oder einzeln serviert werden (Warmes Essen mit einer Temperatur von 65° auf dem Teller). Buffets oder Schöpfsysteme sind tabu wegen der Infektionsgefahr, das Essen soll als Vollkost gleichzeitig genügend Grundnahrungsmittel enthalten und magenbekömmlich sein für das bereits eingeschränkte Verdauungssystem älterer Menschen.
  • Die Einzeltherapien folgen nicht einem strikten Zeitplan wie in einer Rehabilitation für jüngere und mittelalte Patienten, die sich von selbst zur Therapie begeben können, sondern richten sich nach den Vorlauf- und Nachlaufzeiten und der individuellen Tagesform der älteren Patienten. Patienten werden daher von den Therapeuten abgeholt auch zu den Gruppentherapien.

Das Alter in Würde akzeptieren

  • Auf Grund der Altersstruktur treffen in der geriatrischen Rehabilitation Patienten ohne und mit kognitiven Einschränkungen aufeinander. Bei der Belegung der Zimmer, bei den Gruppentherapien und bei der Tischbelegung im Speisesaal wird soweit wie möglich versucht auf diese Unterschiede einzugehen. Eine völlige Trennung von Patienten mit leichter bis schwerer Demenz und geistig völlig fitten Patienten ist aber nicht möglich und auch gar nicht gewollt. In den Gruppentherapien und bei weiteren gemeinsamen Aktivitäten wie z.B. bei den Mahlzeiten können die geistig fitten, agilen Patienten die geistig etwas schwächeren Patienten durchaus mitaktivieren und deren schlummernde kognitive Fähigkeiten durch das gemeinsame Gespräch wecken.
  • Zwar haben geriatrische Rehabilitationskliniken gemäß den Richtlinien des Bundesausschuss Rehabilitation (BAR) in der Regel ein Bewegungs- oder Schwimmbad, so auch unsere Klinik, die Benutzung für die geriatrischen Patienten ist aber auf der Basis gesundheitlicher Umstände (z.B. Herzinsuffizienz, offene Wunden, Inkontinenz) oft stark eingeschränkt und die Unterwassertherapie spielt daher in der geriatrischen Rehabilitation eine deutlich geringere Rolle als in der orthopädischen oder neurologischen Rehabilitation jüngerer bzw. sich im mittleren Lebensalter befindender Patienten. Bundesweit haben manche große geriatrische Rehabilitationskliniken daher ihre Schwimmbäder sogar geschlossen bzw. aufgegeben und kooperieren nur noch im Bedarfsfall mit nahegelegenen Bewegungsbädern.

Die unterschiedlichen Erwartungen

  • Der Gesetzgeber und die Krankenkassen verfolgen mit der geriatrischen Rehabilitation das Primärziel der Voll- oder Teilmobilisation der älteren Patienten für eine Rückkehr ins häusliche Umfeld, um stationäre Pflege entweder ganz abzuwenden oder zumindest zeitlich weiter hinauszuschieben. Dies bedeutet, dass die geriatrische Rehabilitation maximal auf eine intensive Bewegungs- und Krafttherapie sowie den Erhalt der kognitiven Fähigkeiten (durch Gedächtnistraining u.a.) und eine dem älteren Patienten angepasste medizinische Versorgung ausgerichtet ist. Erholung, Wellness und Entspannung, die Hauptbestandteile der klassischen Kur zum Erhalt der Arbeitsfähigkeit bzw. zum Ausruhen von körperlich oder geistig sehr belastender Arbeit jüngerer und im mittleren Lebensalter befindlicher Berufstätiger sind, spielen in der geriatrischen Rehabilitation eine untergeordnete Rolle.
  • Im Kontrast dazu stehen oft die Erwartungen der Patienten und ihrer Angehörigen an die geriatrische Rehabilitation: Die zumeist älteren Patienten denken gerne zurück an die Zeit als sie noch voll aktiv waren und wünschen sich dorthin zurück, z.B. in eine Kur mit Tanzveranstaltungen und neuen Kontakten. Die meist in den mittleren Lebensjahren befindlichen Angehörigen wünschen sich für ihren angehörigen Patienten das, was sie selbst gerne in ihrem anstrengenden Berufsleben hätten: Entweder Wellness in schöner Umgebung, Verwöhnt werden mit Massagen, Bädern, nach medialer Ansicht gesundheitsbewusster Ernährung mit Salat- und Rohkostbuffets bzw. schonend gekochter mediterraner Kost, oder alternativ das Gegenteil, nämlich maximal sportives Training um in kurzer Zeit kräftig und fit zu werden.
  • Sehr häufig gibt es dann gerade am Anfang der geriatrischen Rehabilitation Enttäuschungen, wenn diese Erwartungen so nicht erfüllt werden. Gerade die jüngeren Angehörigen projezieren oft ihre körperlichen Vorraussetzungen und ihre Vorstellungen von Rehabilitation auf die älteren Patienten und können schwer nachvollziehen, dass der hochbetagte Angehörige bereits nach einer Physiotherapieeinheit am Tag erschöpft ist oder durch einen frisches Obst Durchfall bekommt.
  • Manche Internetseiten und Broschüren der Krankenkassen verstärken leider die teilweise unrealistischen Erwartungen, wenn dort die geriatrische Rehabilitation unter einem Dach mit der Darstellung von Kur mit schönen jungen Körpern und Wellness gezeigt wird. Natürlich ist diese Form des Marketings nachvollziehbar, schließlich wollen die Krankenkassen sich ja positiv als Gesundheitskassen positionieren, aber sie bildet die Realität der geriatrischen Patienten im letzten Lebensabschnitt nicht richtig ab.

Kommunikation zwischen Patienten, Angehörigen und Mitarbeitern der geriatrischen Klinik

Zu Beginn der geriatrischen Rehabilitation besteht oft für die älteren Patienten und ihre Angehörigen eine durch massive Ängste gekennzeichnete Stresssituation. Die Ängste beziehen sich für beide Gruppen auf eine akute, nicht so vorhersehbare oder vorhersehbare aber verdrängte deutliche Veränderung der Lebenssituation, die nach dem kurzen Aufenthalt im Akutkrankenhaus sich erst jetzt richtig deutlich abzeichnet: „Kann ich je wieder zurück in meine Wohnung, mein Haus?“; „Muss ich jetzt sterben, oder werde ich das noch mal überleben?“; „Macht das Leben für mich noch einen Sinn mit diesem körperlichen Gebrechen?“; „Was passiert mit meinen Ersparnissen, wenn ich jetzt nicht mehr für mich selbst sorgen kann?“; „Werde ich jetzt verarmen, müssen meine Kinder für mich aufkommen?. Ich schäme mich, das will ich nicht.“; „Wo waren meine Kinder vorher, ich hätte sie vorher doch schon gebraucht? Jetzt müssen sie sich aber um mich kümmern!“

„Wir hatten gedacht das dauert noch, bis wir uns um unsere Eltern komplett kümmern müssen, das kommt jetzt viel zu früh!“, „Wie sollen wir unser Leben weiter finanzieren, wenn wir jetzt für Pflege mitzahlen müssen?“, „Wir haben doch so schon keine Zeit für uns selbst, und jetzt das. Jetzt müssen wir uns regelmäßig um unsere Eltern kümmern, das schaffen wir nicht!“; „Da war doch vorher noch keine Demenz, naja ein bisserl vergesslich halt und die gleichen Stories aus der Jugend immer wieder erzählt, aber jetzt, nur wirres Zeug. Da müssen die Ärzte schuld sein mit der Betäubung?“; „Grade ging’s doch noch und jetzt ein Vollpflegefall?!“

Diese Ängste führen auf Grund einer vorübergehenden Ausweglosigkeit zu Aggressionen. Diese müssen ein Ventil finden und dies richtet sich oft gegen Mitarbeiter im Gesundheitswesen. Oft brechen in so einer Situation auch vergrabene Konflikte innerhalb der Eltern- Kind Beziehung und zwischen Geschwistern wieder auf. Auch dies kann zu Aggressionen führen. Bitte lassen Sie den Lösungen für Ihre Probleme und Ängste etwas Zeit. Bitte geben Sie auch den Mitarbeitern in der geriatrischen Rehabilitation etwas Zeit Lösungen und die bestmögliche Therapie zu finden. Und bitte, kommunizieren sie mit diesen Mitarbeitern so wie Sie auch möchten, dass mit Ihnen kommuniziert wird: gewaltfrei.

Oft tritt in der Geriatrie, wie auch ihrem Pendant der Pädiatrie folgende Situation ein: Beim Start der Rehabilitationszeit wird Alles als schrecklich empfunden von Patient und Angehörigen. Überwindet man die erste Phase des Heimwehs, des Kummers und der angstgeschürten Aggressionen, stellt sich nach einiger Zeit auf Grund des Rehabilitationsfortschritts wieder eine gewisse Zufriedenheit ein und Patienten und Angehörige plädieren oft für eine Verlängerung der Rehabilitationszeit.

Das Wochenendproblem

Während Angehörige einen gleichaltrigen Verwandten oder einen Freund im Akuthaus oder der Rehabilitation oft mit einem Gefühl der Gelassenheit besuchen- „Ärzte, Therapeuten und Pflegpersonal werden das schon richtig machen“ – besteht von Angehörigenseite bei den Kindern oder älteren Patienten oft der Drang irgendetwas bewegen, sich kümmern zu müssen. Da Besuche oft am Wochenende erfolgen, insbesondere wenn man sich lange nicht gesehen hat und evtl. Angehörige von weit her kommen, trifft dieser Drang nun auf die deutlich reduzierte Personalbesetzung an Wochenenden in den Kliniken kann nicht richtig ausgelebt werden. Dies befördert vorprogrammierte Konflikte.

In den Akuthäusern ist oft ein Dienstarzt für mehrere Stationen oder sogar Abteilungen zuständig, kennt den Patient nicht und kann keine volle Expertise abgeben. In der Rehabilitation besteht an Wochenenden oft nur eine Rufbereitschaft, der Arzt soll eigentlich nur für Notfälle geholt werden oder soll sich bei der Wochenendvisite um alle Patienten gleichermaßen kümmern bzw. muss sich bevorzugt bestimmten Patienten zuwenden. Die persönlich betreuenden Therapeuten sind ebenfalls nicht speziell nicht an dem jeweiligen Wochenendtag da, obwohl in der geriatrischen Rehabilitation auch am Wochenende Therapien erfolgen.

Zu guter Letzt sind die Patienten am Wochenende nicht beschäftigt durch Therapien und wollen umsorgt werden, das Pflegpersonal hat alle Hände voll zu tun.

Bitte vergegenwärtigen Sie sich für einen Moment diese Situation, vergleichen Sie mit Ihrem eigenen Berufsleben und versuchen Sie nicht am Wochenende Alles sofort lösen zu wollen und Ansprüche auf Anwesenheiten medizinischen Personals zu stellen, die nicht erfüllbar sind.